«Der Unterricht wurde nicht neu erfunden»

Im kompetenzorientierten Sportunterricht wird dem Wissen und Reflektieren mehr Beachtung geschenkt. Was sich dadurch im Unterricht und für die Lehrpersonen ändert, erklärt die Dozentin für Bewegung und Sport, Ilaria Ferrari Ehrensberger, im Interview.

Ilaria Ferrari Ehrensberger, Dozentin für Bewegung und Sport. Foto: Christian Wagner

Akzente: Welche Veränderungen bringt der Lehrplan 21 für den Sportunterricht?
Ferrari Ehrensberger: Die bekannten Kerneigenschaften des neuen Lehrplans – wie die Kompetenzorien­tierung, der systematische Kompetenzaufbau über alle Zyklen hinweg oder die fächerübergreifende Perspektive – gelten natürlich auch für den Sportunterricht. Bezüglich der Inhalte und Lernziele bleibt aber vieles gleich. Es braucht weder neue Räume noch Geräte und auch die Spiele und Übungen bleiben weitgehend dieselben. Die folgenreichste Veränderung ist, dass die Unterrichtsplanung beim Output, d.h. bei der Kompetenz beginnt. Die Lehrperson muss sich dann überlegen, welche Übungsformen und welche Vermittlungsmethoden sie einsetzen soll, damit ihre Schüler und Schülerinnen die anvisierte Kompetenz erreichen können. Der bisherige Fokus auf das «Können» wird im kompetenz­orientierten Sportunterricht um die Wissensdimension erweitert.

Das klingt nach mehr Kopf im Sportunterricht. Besteht sein Zweck nicht gerade darin, neben dem Kopf auch den Rest des Körpers zu aktivieren und sich auszutoben?
Sport aktiviert immer den ganzen Körper, den Kopf inklusive. Sport in der Schule war zu keiner Zeit ein ungerichtetes Austoben, sondern bezweckt seit jeher, die sportlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten gezielt zu erweitern. Daran ändert sich nichts Grundsätzliches. Dem neuen Lehrplan liegt die Idee zugrunde, umfassende Kompetenzen zu fördern, mit denen sich nicht nur eine bestimmte, sondern eine Vielzahl von ähnlichen Herausforderungen bewältigen lassen. Damit das im Sport gelingt, wird der Anteil an Reflexion und Wissen erhöht, um die Lerninhalte auf einer überge­ordneten Ebene zu verknüpfen.

Wie muss man sich dies im Unterricht umgesetzt vorstellen?
Beispielsweise als taktische Inputs und gemeinsame Reflexion im Rahmen eines Ballspiels, wie etwa mit klugem Stellungsspiel Freiräume auf dem Spielfeld geschaffen und besser genutzt werden können. Verknüpft mit der Spiel­praxis unterstützen diese theoretischen Anregungen den Aufbau von taktischen Kompetenzen, die sich schliesslich in verschiedenen Ballspielen nutzen lassen.

Verfügen die amtierenden Lehrpersonen denn über das Wissen, um solche Inputs zu geben?
Die Lehrpersonen bringen das notwendige Wissen und Können nach meinen Erfahrungen mehrheitlich aus ihrer Ausbildung mit. Zudem steht für sie eine grosse Auswahl an Weiterbildungen bereit. Weiteres Wissen und Anregungen liefern aber auch die neuen Unterrichtsmaterialien, die zurzeit entwickelt werden. Der Sportunterricht wurde nicht neu erfunden und es ist ausreichend Zeit und Unterstützung für die Umstellung vorhanden.

Geht die Wissensvermittlung nicht zulasten der Bewegungszeit im Sportunterricht?
Die Bewegungszeit wird nach wie vor den Löwenanteil der Unterrichtszeit ausmachen. Da ein richtiger Input zur richtigen Zeit den Kompetenzerwerb beschleunigen kann, ist davon auszugehen, dass diese Bewegungszeit insgesamt produktiver wird. Aber natürlich nimmt die Reflexion und Wissensvermittlung auch Zeit in Anspruch. Damit dies nicht auf Kosten der Bewegungszeit geht, braucht es gewisse Anpassungen in der Unterrichtsorganisation.

Welche Anpassungen sprechen Sie hier an?
Generell spreche ich hier auf eine gute Planung und Rhythmisierung von Wissens- und Bewegungsteilen im Unterricht an. Es gibt aber auch zahlreiche weitere Möglichkeiten für eine effizientere Unterrichtsgestaltung. Wie und in welchen Bereichen sich der Sportunterricht zeitlich optimieren lässt, steht im Zentrum einer kostenlosen Tagung, die wir im September an der PH Zürich durchführen. Dazu sind alle Lehrpersonen herzlich eingeladen.

Ist zu erwarten, dass sportlich leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler über den Wissenszugang nun rascher zu den Stärkeren aufholen?
Es gibt durchaus Fachpersonen, die darin einen Lösungsansatz zur Einebnung der Leistungsunterschiede erkennen. Ich bin da eher zurückhaltend und denke, dass Stärkere und Schwächere gleichermassen profitieren werden. Der Umgang mit Heterogenität wird aus meiner Sicht deshalb auch weiterhin eine der grossen Herausforderungen im Sportunterricht bleiben. Um Kinder und Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in einer Turnstunde zu fördern, muss man als Lehrperson auch zukünftig seine ganze Kompetenz und Kreativität aufbieten. Aber genau das macht es ja so spannend, Sport zu unterrichten.