
Mario Bernet (l.) und Ruedi Isler – Unter vier Augen
Mario Bernet: Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Auster meinte drei Wochen vor der Präsidentenwahl: «Gewinnt Trump, wird es ein anderes Land werden, Amerika wird sich in einen Witz verwandeln. Wir werden zum Gespött – und uns schämen.» Nun ist der Witz da, und ich hatte keine Sekunde Lust zu spotten. Seit dem 9. November hält sich die schlechte Laune, und ich finde keine Argumente, um sie zu vertreiben. Kannst du mir helfen?Ruedi Isler: Ich fürchte nein, denn mir kommen Gedanken an andere beunruhigende politische Entwicklungen. Wohin wir blicken, sehen wir autoritäre Potentaten, die eine nationalkonservative Linie mit religiöser Orthodoxie verbinden: Orban in Ungarn, Kaczinsky in Polen, Erdogan in der Türkei oder Putin in Russland. In Westeuropa drängen Populisten an die Macht. Wahrhaft «schlechte Zeiten sind das für Spassmacher, Spötter und Kabarettist», wie der deutsche Barde Franz Josef Degenhardt vor Jahren sang!
Bernet: Scharfmacher und Grobiane gab es bekanntlich schon immer. Aber in den USA wurden nun Lügen, Beleidigungen und Geschmacklosigkeiten zum politischen Erfolgsrezept, und das in der grössten Demokratie der Welt. Wer angesichts dieser Wahl weiter an das historische Projekt der Aufklärung glaubt, muss eine robuste Frohnatur sein. Du merkst: Meine Bestürzung will einfach nicht abklingen. Vielleicht helfen Erklärungen weiter. Hast du eine?
Isler: Du bringst mich in Verlegenheit. Ich kann dir nur sagen, was mich verstört: Trump und Konsorten wurden alle gewählt. Offenbar gibt es Millionen von Menschen, denen wir in unserem homogenen Umfeld nie begegnen und die anders fühlen, denken, handeln als wir. Sie haben uns gezeigt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit keine Selbstläufer sind. Und auch hierzulande können wir kaum auf ein spezifisches Schweizer Demokratie-Gen hoffen, das uns vor amerikanischen Zuständen schützt.
Bernet: Der Briefträger, der Buschauffeur, die Schuhverkäuferin, die Ärztin – auch jenseits meines Freundeskreises treffe ich fast ausschliesslich freundliche, hilfsbereite, sachverständige Leute. Es fällt mir schwer, ihnen zu unterstellen, sie seien anfällig für politische Raufbolde – und ihre Höflichkeit sei nur oberflächlich. Warum werden viele Leute so leichtsinnig, wenn es um politische Fragen geht? Wer oder was schützt sie vor diesem Leichtsinn?
Isler: Politische Bildung, historisches Bewusstsein, kritisches Denken und Kampf gegen die Angst, die allenthalben geschürt wird – aber nicht allein das. Auch eine Vermittlung von positiven Werten wie Höflichkeit, Rücksichtnahme und Toleranz. Und vergessen wir nicht das Sein, welches das Bewusstsein schafft: Ohne ein Mindestmass an Gerechtigkeit in der Gesellschaft wird es kaum gehen. Grosse Worte, schale Floskeln?
Bernet: Deine Stichworte sind mehr als eine Wunschliste. Du sprichst Errungenschaften an, für die beharrlich gearbeitet wurde – gerade in unserer Bildungslandschaft. Diesen gilt es Sorge zu tragen, mehr denn je.
Isler: Werden wir das? Morgen ist alles vergessen, dann ist wieder Vogelgrippe oder ein Vulkanausbruch in Island. Was sicher niemand bestreitet: Für eine Vorbereitung auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft und für den Erhalt von Rechtsstaat und Demokratie hat die Schule eine herausragende Bedeutung. Politische Bildung scheint mir wichtiger denn je.