Erfolgreiches Change Management ist laut Betriebswissenschaftsprofessor Wolfgang Jenewein weniger eine Frage der strategischen Brillanz als von Empathie und Reflexionsfähigkeit der Führungsperson. Auch an der Schule können Einzelpersonen die Kultur von innen heraus verändern.
Akzente: Wie gelingen tiefgreifende Veränderungen in Organisationen?
Jenewein: Zuerst braucht es eine klare Vision, wo die Organisation hinsollte. Damit visionäre Ideen nicht auf halbem Weg Schiffbruch erleiden, müssen Leader heute immer mehr ihr Umfeld integrieren. Das heisst, dass man Ideen mit der Realität abgleichen und die wichtigsten Betroffenen integrieren muss, die Mitarbeitenden, die Kunden, in der Schule die Politik. Nach der Integration der Stakeholder ist es wichtig, in kleinen, verdaubaren Schritten voranzugehen und keinen radikalen Wandel zu erzwingen, es sei denn, die Situation erfordert es. Der vierte Schritt wäre, Erfolge auch zu feiern, damit nicht das Gefühl entsteht, dass man keine Fortschritte macht. Dies ist bei grossen Organisationen umso wichtiger, als in ihnen nicht so schnell sichtbar wird, was alles schon richtig geht.
Was sollte beim Anstossen von Veränderungsprozessen vermieden werden?
Auf keinen Fall darf schlecht über die Vergangenheit gesprochen werden. Bei Change Managern, die von aussen in eine Organisation kommen, besteht die Gefahr, dass bestehende Strukturen schlechtgemacht werden. Selbst wenn alles falsch ging, macht es keinen Sinn, über frühere Fehler zu sprechen, weil man damit nur Personen herabsetzt. Ein guter Change Manager schaut nach vorne und nicht nach hinten.
Hängt erfolgreiches Change Management primär von der Persönlichkeit der Führungsperson ab oder ist die Führung von Veränderungen ein erlernbares Handwerk?
Erfolgreicher Wandel ist immer mehr eine Frage des Charakters und der Empathiefähigkeit. Anders als in den 90er Jahren oder Anfang 2000, als sich Organisationen noch nach einem Fünfjahresplan richteten, müssen Führungspersonen ihre Strategien heutzutage jedes Jahr neu überdenken und flexibel reagieren können. Weil sich die Bedingungen so schnell verändern, ist erfolgreiches Change Management nicht mehr so sehr eine Frage von strategischer Brillanz, sondern primär von Empathie und Integrationsfähigkeit, dass man also sämtliche Perspektiven integriert, um auf dem Weg wichtige Anpassungen machen zu können. Wenn Sie einen Change sozusagen als General durchspielen ohne Empathie und Integration der Kolleginnen und Kollegen, die mitdenken, werden Sie feststellen, dass Ihr Plan, der vor drei Jahren vielleicht noch gut war, nicht mehr der Realität entspricht.
Was muss eine Führungsperson mitbringen?
Neben Empathie und Integrationsfähigkeit braucht es Reflexionskompetenz. Sich selbst immer wieder hinterfragen zu können: Bin ich auf dem richtigen Weg, interpretiere ich die Signale aus dem Umfeld richtig? Selbstverständlich ist strategische Kompetenz nach wie vor wichtig, um in die richtige Richtung zu gehen.
Ist ein gewisser Leidensdruck, eine gewisse Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden nötig oder gelingt Wandel eher in Organisationen mit einem guten Klima?
Am besten führt man Veränderungen aus einer Position der Stärke herbei. Das spricht für eine gewisse Souveränität. Man erkennt, dass sich die Welt verändert und entwickelt sich mit, bevor es zu spät ist. Der Firmenwandel aus der Stärke heraus ist gewissermassen die Königsdisziplin, da die Mitarbeitenden Veränderungen in Frage stellen werden, wenn alles gut läuft. Ein Musterbeispiel aus der Industrie ist der deutsche Autokonzern Daimler, der 2015 einen Gewinn von fast neun Milliarden erzielte und gleichzeitig einen radikalen Strategiewechsel ankündigte. Aus der Schwäche heraus funktioniert Wandel in der Regel leichter, weil die Mitarbeitenden einsehen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Menschen öffnen sich oft erst für Neuerungen, wenn es nicht mehr anders geht. Trotzdem empfehle ich, einen Kulturwandel aus der Position der Stärke anzustossen, damit genügend Zeit für die Anpassungsprozesse bleibt.
Wie holt man Mitarbeitende ins Boot?
Wichtig ist, dass eine Führungsperson nicht als jemand auftritt, der weiss, wie alles funktioniert. Das Zuhören ist absolut zentral für eine erfolgreiche Integration der Mitarbeitenden. Dabei lautet die Frage, ob man wirklich zuhört oder nur wartet, bis man sprechen kann. Mitarbeitende überzeugt man, indem man einen offenen Dialog führt und den Kontext aufzeigt, in dem man arbeitet. Aufgrund dieses Kontexts stellt sich dann die Frage, welche Art der Zusammenarbeit, von Führung, von Kultur, hilfreich ist.
Was verstehen Sie genau unter dem Kontext?
Für viele Organisationen, auch für die Schule, ist etwa die Digitalisierung ein grosser Einflussfaktor oder auch die Globalisierung. Für Unternehmen stellt sich beispielsweise die Frage, ob man international konkurriert oder internationale Inhalte anbieten muss. Wenn sich das Umfeld so schnell verändert wie heute, sind Bürokratien, starke Hierarchien, starre Strukturen hinderlich. Das erfordert eine Umstellung von einem hierarchischen, bürokratischen Modell hin zu einem kollegialen, agilen, flachen System. Wenn man Mitarbeitenden diesen schnelllebigen, digitalen Kontext, wo die Zukunft nicht mehr vorhersehbar ist, aufzeigt, werden sie verstehen, dass es auf allen Ebenen Leute braucht, die Lösungen entwickeln.
Inwiefern unterscheidet sich die Institution Schule von Organisationen der Privatwirtschaft?
Schulen sind in der Regel hierarchisch organisiert, da sie mit kantonalen oder staatlichen Einheiten abgestimmt sind. Da die Marktnähe nicht gegeben ist, funktioniert das System eher planmässig und statisch. Das macht es per Definition schwieriger, Wandel herbeizuführen. Verschiedene Studien zeigen, dass Veränderungen in staatlichen Unternehmen aus den genannten Gründen schwieriger und langsamer vor sich gehen, aber nicht unmöglich sind.
Braucht es für Veränderungen primär eine starke Führungsperson oder ist der Wille des Teams ausschlaggebend?
Aus der Change-Forschung und verschiedenen eigenen Forschungsprojekten wissen wir, dass eine andere Art der Zusammenarbeit durch die Aktivierung von Individuen möglich wird. Es macht Mut, zu sehen, dass es am Ende um mich selbst geht. Da gibt es diesen berühmten Satz: «Don’t wait for the system to change. Be the change that you want to see in the system.» Wer wirklich Change will, in der Schule oder in einem Unternehmen, der sollte nicht darauf achten, was alles strukturell schwierig ist, welche Personen im Weg stehen, sondern selbst mit Veränderungen anfangen. Was wir auch beobachten konnten, ist, dass Change auch Spass macht. Bei vielen Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, konnten wir Einheiten von Andersmachern oder Querdenkern ausmachen. Diese hatten oft mehr Spass bei der Arbeit, weil sie gegen das etablierte System ankämpften, und feierten sich gegenseitig. Früher waren das eher die Spinner, doch in jüngster Zeit erhalten sie immer mehr Wertschätzung für ihr Anderssein. Solche Leute können eine Organisation auch einmal von innen drehen.
One thought on “«Leader müssen heute immer mehr auch ihr Umfeld integrieren»”
Comments are closed.