Der Leiter der Fachstelle Interkulturelle Pädagogik des Volksschulamts, Markus Truniger, hat den diesjährigen Bildungspreis der Pädagogischen Hochschule Zürich erhalten. Ein Gespräch über eine Schule, die für alle passt.
Akzente: Markus Truniger, Sie setzen sich seit über 30 Jahren für Chancengleichheit in der Schule ein. Inwieweit bleibt dies eine Utopie?
Truniger:  Von Utopie würde ich nicht sprechen, vielmehr bleibt die Chancengleichheit eine Vision, die es zu verfolgen gilt. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam etwas bewegen können, einen schnellen und vollständigen Ausgleich von Bildungschancen durch das Schulwesen allein halte ich aber für unrealistisch.
Von was hängt schulischer Erfolg ab?
Natürlich spielen die individuelle Begabung des Kindes und das Elternhaus eine grosse Rolle. Es ist aber gut belegt, dass die Schulen, das heisst vor allem die Lehrpersonen, für den Erfolg von Kindern aus sozial weniger privilegierten Familien sehr wichtig sind. Die Chancen steigen, wenn man die Kinder dort abholt, wo sie in ihrer Entwicklung stehen. Die Politik, wir von der Verwaltung und die Pädagogische Hochschule müssen die Lehrpersonen in dieser Aufgabe unterstützen, nicht nur mit finanziellen Mitteln, sondern auch mit guter Aus- und Weiterbildung.
Welchen Beitrag kann die Fachstelle Interkulturelle Pädagogik leisten?
Inzwischen ist an verschiedenen Stellen, auch in unserer Fachstelle, viel spezifisches Wissen über Lernprozesse in mehrsprachig und multikulturell zusammengesetzten Klassen zusammengetragen worden. Wir sorgen unter anderem für den Austausch dieses Wissens zwischen den Schulen, der Pädagogischen Hochschule und unserer Fachstelle. Dabei möchte ich betonen: Wenn man im Rahmen des Bildungspreises von meiner Arbeit spricht, so ist zu ergänzen, dass das allermeiste davon in Zusammenarbeit mit meinem Team und mit vielen weiteren Partnern entstanden ist.
Sie sind bereits früh für Chancengleichheit in der Schule eingetreten. Was gab den Ausschlag dazu?
Die verschiedenen sozialen Verhältnisse haben mich seit jeher interessiert. Bereits mein Vater hatte als Mitarbeiter bei Sulzer den spanischen und den Tessiner Arbeitskollegen zu uns nach Hause eingeladen. Als Lehrer übernahm ich dann 1975 im Limmatschulhaus im Stadtzürcher Kreis 5 Real- und Oberschulklassen, 1982 erstmals eine Klasse mit ausnahmslos ausländischen Jugendlichen. Die Familien, die einfachen Schweizer Familien und die eingewanderten, haben mich beeindruckt. Die Eltern arbeiteten hart bei der Eisenbahn, auf dem Bau oder beim Putzen, und trotzdem kam von ihnen viel Freundlichkeit und Dankbarkeit zurück. In dieser Zeit habe ich viel dazu gelernt, auch in vielen Diskussionen in initiativen Lehrergruppen. Daraus ist im Schulkreis Limmattal unter anderem eine Kommission für Ausländerfragen entstanden, mit Vertretungen aus den verschiedenen Sprachgruppen. Dadurch wurde ich von der Erziehungsdirektion quasi entdeckt.
Sie erhielten ein Job-Angebot bei der Erziehungsdirektion …
Ja. Die damalige Leiterin der Stelle für «Ausländerpädagogik» rief mich 1985 in mein Schulhaus an. Mein erster Gedanke war: «Ich wechsle sicher nicht in die Erziehungsdirektion». Nach etwas Bedenkzeit sagte ich dann für zwei Jahre zu, nicht ohne meinen Kolleginnen und Kollegen im Schulhaus zu versichern, dass ich da-
nach zurückkehren würde. Nun arbeite ich heute noch hier, und ich bereue diesen Schritt nicht. Diese Arbeit, die sich zwischen dem Schulfeld, der Lehrerbildung, der Wissenschaft und der Bildungspolitik bewegt, fasziniert mich immer noch.
Durch Ihr Engagement wurden Integration und Chancengleichheit auch öffentlich diskutiert. War dies so geplant?
Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und die sich stellenden Aufgaben zu definieren, ist sehr wichtig. Hier haben wir als Fachstelle sicher etwas dazu beigetragen. Ohne den öffentlichen Diskurs und eine breite Abstützung in der Bildungspolitik wären heute Angebote wie Unterricht in Deutsch als Zweitsprache, Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur und «Qualität in multikulturellen Schulen (QUIMS)» nicht im Gesetz verankert. Dies alles hat wiederum zu einigen positiven Entwicklungen beigetragen: Viele Secondas und Secondos schaffen einen Bildungsaufstieg im Vergleich zu ihren Eltern, eine grosse Zahl von ihnen verfügt über einen Lehrabschluss. Das betrachte ich als Erfolg. Trotzdem ist klar: Vergleicht man den Bildungsweg zwischen jungen Menschen aus sozial privilegierten und weniger privilegierten Familien, dann ist der Unterschied immer noch gross.
Sie erhielten den Bildungspreis am Hochschultag der PH Zürich. Den Schwerpunkt bildete das Thema Flüchtlingskinder. Sind die Schulen dadurch zusätzlich gefordert?
Wir haben uns dieser aktuellen Herausforderung bereits 2015 angenommen. In Zusammenarbeit mit betroffenen Schulgemeinden haben wir rasch die notwendigen Aufnahmeklassen schaffen können. Die Gemeinden und die Lehrerschaft unterstützen wir vom Volksschulamt her, indem wir pädagogische Konzepte, aber auch rechtliche und finanzielle Aspekte geklärt haben. Schwierig ist meiner Meinung nach vor allem, wie junge und unbegleitete Personen rasch in die Schule und Berufsbildung eingegliedert werden können. Für diese Gruppe sind die Konzepte bisher noch nicht ausreichend. Hier müssen wir in nächster Zeit investieren.