Den Shit-Detektor trainieren

Alex Rickert - Seitenblick

Alex Rickert – Seitenblick

Keine andere Sprache auf der Welt ist so schlüpfrig und aalglatt wie die deutsche. Das sagte Mark Twain, als er durch Europa reiste und Deutsch lernte. Er forderte deshalb dringend, diese Sprache zu reparieren. Denn es gebe Wörter, die seien so lang, dass sie Schatten werfen würden.Davor ist auch die Bildungsbranche nicht gefeit. Haben Sie auch schon mal ein Zielvereinbarungsblatt gezückt? Oder sich vielleicht an einem Rahmenlehrplanvernehmlassungsverfahren beteiligt? Ich gestehe, ich habe auch schon Wörter wie Binnendifferenzierungsmethode benutzt, mit schlechtem Gewissen zwar und im Wissen, dass schmächtige Begriffe nicht grossartiger werden, wenn man sie aufbauscht.
Nebst solchen «alphabetischen Prozessionen» (Mark Twain) wenden Schreibende einen zweiten Trick an, um wichtig zu klingen. Sie mästen schlanke Wörter (wie zum Beispiel «richtig») zu Nomen (Richtigkeit), die eigentlich keine sein wollen. Wer das tut, löst hierzulande bei den Lesern höchstens Gähnen aus. In anderen Teilen der Welt aber riskiert, wer solches wagt, eine scharfe Lippe. Auf Jamaika beispielsweise sind Nominalisierungen auf «-ismus» stark negativ besetzt. Sie stehen für starre Konzepte wie racism, sexism oder imperialism, die eine Gemeinschaft zerstören. Man nennt sie abwertend «isms and shisms». Teufelszeug also.
Im deutschsprachigen Raum gedeihen abgehobene Phrasen und Satzungetüme ausgerechnet in Lehrbüchern und Sachtexten besonders gut. Es scheint die paradoxe Regel zu gelten: je komplexer die Sache, desto aufgeblähter die Schreibe. Das stellt nicht nur Erwachsene vor Hürden, sondern insbesondere Schülerinnen und Schüler mit schlechten Deutschkenntnissen. Fachleute gebrauchen überkomplexen Stil zum Ärger ihrer (jungen) Leser in der Hoffnung, ihrem Text mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Doch so wie Affen manchmal von Bäumen fallen, greifen auch Experten beim Schreibstil hin und wieder daneben.
Wir alle kennen vertrackte Texte, die Schwindel erregen und trotzdem brillant sind. Aber «solange man nicht bewiesen hat, dass man einfach kann, kann man auch nicht kompliziert», meint der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, und er hat Recht. Die Frage ist, wie man sich gegen die Versuchungen wappnet, schreiben zu wollen wie Thomas Mann oder Immanuel Kant. Was tun, um die eigene Sprache aufzuräumen? Ich empfehle die Methode Hemingway, die da lautet: Trainiere deinen Shit-Detektor. Denn die wichtigste Gabe guter Schreiber, so Hemingway, ist ein eingebauter, bruchsicherer Shit-Erkenner. Damit meint er das Talent, bei Texten alles Überflüssige wegzuspülen und die Sprache schlank zu halten.
Als Warm-Up sei angeregt, in den eigenen Texten nutzlose Adjektive des Typs «tiefes» Geheimnis aufzuspüren und zu tilgen. Gleiches gilt für Nominalisierungen, unnötige Einschübe und Wortdreimaster. Daraufhin könnte man das Thema Schreibstil als Gesamtteamsitzungstraktandum vorschlagen.

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