Pädagogische Wunderwaffen

Unter vier Augen

Mario Bernet und Ruedi Isler – Unter vier Augen

Ruedi Isler: Immer wieder sieht die Schulpädagogik neue Heilslehren – Versprechungen, dass die ultimative Lernmethode gefunden ist, dass sich nun alle Probleme lösen lassen. Unter den Berufsleuten macht sich dann erregte Geschäftigkeit breit, da und dort Euphorie. Brauchen wir Menschen einfach die Hoffnung auf Erlösung von der Mühsal des Alltags? Bringen die sich jagenden Neuerungen tatsächlich den kontinuierlich steigenden Fortschritt in die Schule?
Mario Bernet: Wo ortest du diese Versprechungen und Verlockungen? Ich kann nur erahnen, wovon du sprichst. Unter Lehrpersonen erlebe ich kaum, dass Innovationen den Status von Heilslehren annehmen. Und ja, ich sehe Fortschritte. Viele Lehrpersonen sind ambitioniert und offen für Neues, wie andere Berufsleute auch.
Isler: Gestern las ich beispielsweise in der Zeitung «Kinder, lernt Frühphilosophisch!» Wer früh philosophiert, liest und rechnet auch besser, sagt eine englische Studie. Sicher werden einige auch auf diesen Trend aufspringen!
Bernet: «Schach holt Kinder weg von der Strasse», war kürzlich in der andern grossen Zürcher Zeitung zu lesen. Gut, dass uns die Journalisten gelegentlich daran erinnern, dass es Lehrreicheres gibt als die schriftliche Division. An unserer Schule gibt es einen Schachclub. Es ist zu begrüssen, wenn Lehrpersonen etwas verstehen von kuriosen Dingen wie Schach oder gar Philosophie. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass sie den Stellenwert solcher Neuerungen einordnen können.
Isler: Zum Schach: Ja, auch was keinen direkten Nutzen hat, ist Bildung. Was mich daran irritiert, sind nur die Versprechungen: mehr Philosophie, mehr Musik, mehr Chinesisch, mehr Ateliers, mehr altersdurchmischtes Lernen – und alles wird gut, alle lernen besser, schneller, konzentrierter, mehr. Werden Enthusiasmus und Tatkraft der Lehrpersonen so nicht fehlgeleitet?
Bernet: Nochmals: Viele Lehrpersonen können diese Versprechungen einordnen, nach dem Motto «Prüfet alles, das Gute behaltet». Im Unterrichtsalltag sind aber keine Feuerwerke, sondern andere Qualitäten gefragt. Ich halte mich gerne an den alten pädagogischen Leitgedanken «Die Menschen stärken, die Sachen klären», in dem ich den Kern unserer Arbeit sehe. Zu dessen Umsetzung sind Fantasie und Beharrlichkeit gefragt, und zwar jeden Tag. Eine hübsche Definition von Bildung hast du übrigens eben eingeflochten. Kannst du das präzisieren?
Isler: Vielleicht in einer nächsten Unterhaltung. Lieber greife ich deinen Leitgedanken auf. Wer das als Kern seiner Arbeit sieht, der braucht Zeit. Das kann nur episch langsam geschehen, da gibt es keine Tricks und Wundermittel, da geht es um tägliche Bemühung, um Arbeit an Inhalten, um motivierende Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern. Da kochen alle mit Wasser. Gerne kann ich dir auch ein paar abgestürzte Hypes nennen, welche diesen Umstand ausser Acht liessen.
Bernet: Ja, nenne mir bitte diese Bruchlandungen.
Isler: Die Sprachlabors in der Volksschule beispielsweise oder die sogenannten Mitschauanlagen in der Lehrerbildung.
Bernet: Siehst du: Das sind Ruinen aus Zeiten, in denen noch mit der grossen Kelle angerührt wurde. Heute ist mehr Besonnenheit eingekehrt in der Bildungslandschaft. Oder täusche ich mich etwa?
Isler: Ich hoffe, dass du recht hast. Mit kritischem Verstand und historischem Bewusstsein Neues erproben: gerne!

Mario Bernet (links) ist Primarlehrer, Ruedi Isler ist Pädagogikprofessor. Die zwei Bildungsexperten unterhalten sich an dieser Stelle über ein aktuelles Schulthema.