Besser als ihr Ruf

Karin Zopfi Bernasconi – Seitenblick

Karin Zopfi Bernasconi – Seitenblick

Kürzlich, am Elternabend in einer Primarschule zum Thema Computerspiele und Freizeit: Es gebe, so erfahren die anwesenden Eltern, für ihre Sprösslinge entweder sinnvolle oder sinnlose Freizeitbeschäftigungen. Der Klassenlehrer erklärt mit ernster Miene die Verwendung des «Lesepasses». So könne man die Kinder zu einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung anleiten und sie von sinnlosen Computerspielen abhalten.
Woher eigentlich rührt der anhaltend schlechte Ruf von Computerspielen in pädagogischen Kreisen? Bereits die Vielfalt der Game-Genres scheint nämlich Verallgemeinerungen unmöglich zu machen. Sie reicht von einfachen Geschicklichkeitsspielen über Action-Adventure-Games, Simulations- und Strategiespielen bis hin zu den erst seit neuerem entwickelten Serious Games. Vergleichbar mit Filmen und Büchern reicht auch hier die Palette von höchster Qualität bis zu Trash. Wie soll man Fussball-Spiele wie FIFA, in dem man mit seinem Lieblingsverein kickt, mit einem Strategiespiel wie Anno 1404 oder der sozialen Alltagssimulation bei den Sims vergleichen?
Digitales Spielen steht nicht mehr im kulturellen Abseits. Spätestens seit der Entwicklung der sogenannten Serious Games, welche eine Brücke zwischen Theorie und Anwendung schlagen, wird das Potenzial von Computerspielen in breiteren Kreisen anerkannt. So kann das Spiel This War of Mine, in welchem es um das Überleben von Menschen in einem Bürgerkriegsgebiet geht, dem Spielenden nachhaltige Erfahrungen vermitteln, zu denen man mittels Buch oder Film nicht gelangt. Serious Games werden in den USA auch mit Erfolg in medizinische Therapieprogramme eingebaut. Re-Mission ist ein Spiel, welches für krebskranke Kinder entwickelt wurde. Spielerisch geht es darum, Tumorzellen zu eliminieren. Ein spielerischer Sieg erhöht bei den Kindern den Glauben daran, dass sie auch ihre Krankheit besiegen können. Dadurch wird die Widerstandskraft der Kinder erhöht und die Verträglichkeit von Medikamenten verbessert.
Zahlreiche Untersuchungen kommen zum Schluss, dass ein moderater Konsum von Computerspielen nicht mit negativen Effekten in Verbindung zu bringen ist. Im Gegenteil, es gibt bezüglich räumlicher Orientierung, strategischem Denken und Feinmotorik sogar positive Effekte. Der damit verbundene Spass sowie die Entspannungsfunktion sollen dabei nicht unerwähnt bleiben. Es versteht sich von selbst, dass Computerspiele keine Nanny für Kinder sind. Daher ist es unabdingbar, dass Eltern die Spiele ihrer Kinder kennen, die Auswahl mitsteuern sowie Vereinbarungen über die zeitliche Nutzung treffen. Auf diese Art können Computerspiele andere Freizeitbeschäftigungen sinnvoll ergänzen.
Übrigens: Dass auch der am Elternabend hochgelobte «Lesepass» unerwünschte Begleiterscheinungen mit sich bringen kann, erleben Vater und Mutter kurz nach dessen Einführung. So ändert der Sohn, eine bis anhin zu Hause stundenlang in Bücher versunkene Leseratte, plötzlich sein Leseverhalten. Immer wieder fragt er, ob er nun in seinem «Lesepass» ein Feld, welches zehn Minuten lesen nachweist, ausmalen könne. Der Inhalt des Buches interessiert ihn dabei kaum noch.

Karin Zopfi Bernasconi ist Dozentin für Pädagogische Psychologie an der PH Zürich.