Grosse Worte

Mario Bernet – aus dem Leben eines Lehrers

Mario Bernet – aus dem Leben eines Lehrers

«Wer sich freiwillig bei den Marines meldet, muss sich nicht wundern, wenn er/sie tagtäglich geschlaucht wird und eines Tages im echten Kriegsgebiet ist. Ist dieser Vergleich zu hart? Nein.»Ist der Gegenstand schuld? Oder ist es die Textgattung? Beides ist wohl im Spiel, wenn Leser G. M. im Tages-Anzeiger seine Sicht der Lehrerbildung zum Besten gibt. Die Mär vom Ferienkünstler ist von gestern. Die Lehrpersonen von heute sind tapfere Helden in der Kampfzone Schulhaus. Wer Studierende auf den Ernstfall vorbereiten will, muss diesen vorwegnehmen: «Also, liebe Studierende, profitiert von der harten Ausbildung, beisst euch durch!», schliesst G. M. sein Feuerwerk. Er nimmt Bezug auf einen Artikel über den Quereinstieg zum Lehrberuf, der offenbar derart strapaziös ist, dass nur wenige Studierende in der vorgesehenen Zeit zu einem Abschluss gelangen.
Bekanntlich ist das Gegenteil von gut nicht böse, sondern gut gemeint. Der zitierte Leser meint es sicher nicht böse, wenn er den anstrengenden Berufsalltag der Lehrpersonen mit einem Schlachtfeld vergleicht. Und wir nehmen ihm seinen Eifer ab, wenn er empfiehlt, die Studierenden in der Ausbildung für die Hektik des Berufsfeldes zu wappnen. Aber bei allem Respekt vor seinem Eifer:
Der Vergleich mit dem Kriegsgebiet ist nicht hart, sondern schief, der bildungstheoretische Schluss ist so nüchtern wie die Matchanalyse des Fussballfans nach einem verlorenen Spiel.
«Kinder sind die Zukunft. Sie auf die Welt zu bringen und zu begleiten, ist unsere edelste und wichtigste Aufgabe.» Anlässlich der Parlamentswahlen dieses Herbstes herrschte in diesem Grundsatz Einigkeit unter den Kandidierenden. Wenn’s um Kinder geht, werden die Gedanken feurig oder feierlich, und ich nehme es dem Leserbriefschreiber und den Politikern ab: Der Enthusiasmus, der beim Thema Kind und Schule aufflammt, ist echt.
So ist es nichts als folgerichtig, dass in Bildungsfragen immer wieder Laien das Wort ergreifen. Das kann für uns Lehrpersonen anstrengend sein: Einst war ich mit meiner Klasse im Tram unterwegs, auf dem Rückweg von der städtischen Kläranlange Werdhölzli. Die Kinder waren noch etwas aufgewühlt von den starken Sinneseindrücken der Besichtigung. Ich war zufrieden über diesen glücklichen Abschluss zum Thema «Wasserkreislauf». Mein stilles Hochgefühl nahm ein jähes Ende, als das Tram auf offener Strecke anhielt, der Chauffeur aus der Kabine trat und mich ermahnte, meine Lehrerpflicht doch etwas ernster zu nehmen. Diese Szene ist sinnbildlich: Wir Lehrpersonen sind in unserer Professionalität verwundbarer als ein Tramchauffeur, eine Orgelbauerin oder ein Förster.
Nie käme es mir in den Sinn, den Führerstand des Trams zu betreten, an der Akustik einer Kirchenorgel zu schrauben oder einen Mischwald zu verjüngen. Aber wenn es um den richtigen Umgang mit den kleinen Hoffnungsträgern oder Störenfrieden geht, sind auch Amateure nicht um einen Ratschlag verlegen.
Es sei denn, es geht um die eigenen Kinder: Umgehend verklingen rasche Empfehlungen und laute Parolen, plötzlich gibt es Platz für Fragen und Zweifel. Bei jedem Gespräch mit Eltern beeindruckt mich das gegenseitige Einverständnis, auf grosse Worte zu verzichten. Danach bin auch ich jedes Mal beinahe feierlich gestimmt – Elterngespräche sind kein Störfaktor, sondern der grösste Ansporn in meiner Arbeit.

Mario Bernet ist Primarlehrer im Schulhaus Sihlfeld und Praxisdozent an der PH Zürich.

One thought on “Grosse Worte”

  1. Unterwegs in andern Ländern merkt man schnell , dass die Schweiz überaltert ist und Kinder wohl ihren Platz haben, aber eben ruhig sollen sie sein. Bemerkungen, wie die des Tramchauffeurs sind ja alltäglich und dennoch es ist ein gewaltig schöner Beruf.P.S
    Kommst du aus Meilen?

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