Nach achtjähriger Tätigkeit als Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich tritt Walter Bircher Ende Jahr in den Ruhestand. Im Interview blickt er auf 35 Jahre Lehrerbildung zurück und spricht über die Herausforderungen, welche auf das Schulfeld zukommen werden.
Walter Bircher, Sie können auf 35 Jahre Lehrerbildung zurückblicken. Erinnern Sie sich noch an Ihren Einstieg in das Klassenzimmer?
Walter Bircher: Im Frühjahr 1971 übernahm ich als frisch diplomierter Primarlehrer die 6. und 7. Klasse der Oberschule in Frick. Im ältesten Schulhaus mit Baujahr 1917 wurde mir das kleinste Schulzimmer unmittelbar unter dem Dach zugeteilt. Dort konnte ich die ersten Erfahrungen als Lehrer sammeln. Meine Neugierde und das Interesse an Naturwissenschaften bewogen mich, bereits nach zwei Jahren die Stelle aufzugeben und an der Uni Zürich und an der ETH Zürich ein Studium aufzunehmen. Weil mir der Lehrberuf Freude bereitete, unterrichtete ich parallel zum Studium zuerst an der Sekundarstufe I und wenig später am Gymnasium.
Zuletzt haben Sie als Rektor acht Jahre die Pädagogische Hochschule Zürich geleitet. Hat sich der Schritt zur Hochschule gelohnt?
Die Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung erfolgte in der Schweiz im Kontext der europäischen Bolognareform. Für die Schweiz bedeutet dies eine Verbesserung der Durchlässigkeit des tertiären Bildungssystems. Die Konzentration von zuvor über 150 kantonal und konfessionell geprägten Lehrerseminaren auf 16 Pädagogische Hochschulen mit einem vierfachen Leistungsauftrag hat zu einer Steigerung der Professionalität geführt und schliesslich eine Schärfung des «Profils Pädagogische Hochschule» bewirkt. Damit sind die Pädagogischen Hochschulen auch international anschlussfähig geworden.
Sehen Sie hier auch Nachteile?
Das Bildungswesen liegt in der Verantwortung der Kantone. Dadurch weisen die Pädagogischen Hochschulen trotz Harmonisierung durch die EDK-Anerkennungsreglemente noch immer kantonale Eigenschaften auf. Ich stelle fest, dass in immer mehr Kantonen die Pädagogischen Hochschulen aufgefordert werden, auf der Primarstufe wieder ein «Allrounderprofil» einzuführen – das ist bedauerlich und verwässert die Ausbildung.
Das Schulfeld ist ein Spiegelbild der sich ändernden Gesellschaft. Was sind die Konsequenzen für die Lehrerbildung?
Die zunehmende Heterogenität im gesamten Schulsystem bedingt die Überprüfung und Weiterentwicklung der Professionsstrukturen. Konkret bedeutet dies, dass in Zukunft erweiterte Berufsprofile aufgebaut werden müssen, zum Beispiel durch die Nutzung der Potenziale von Migrantinnen und Migranten. Auch die Dynamik in Gesellschaft und Wirtschaft hat Konsequenzen auf die Lehrerbildung. So muss das Verhältnis «Grundausbildung – Weiterbildung» überprüft werden: Tendenziell wird die Grundausbildung zugunsten von mehr «On the Job»-Ausbildung angepasst werden müssen. Demgegenüber sollte die Ausbildung für die Vorschul- und Primarstufe erweitert werden, um die zukünftigen Lehrpersonen für neue Ansprüche «fit» zu machen. Für diese notwendigen Spezialisierungen zum Beispiel in Sonderpädagogik oder bei Fachvertiefungen wie in Musik oder Sport ist die Einführung der Masterstufe zwingend. Um das Bildungssystem insgesamt auf die neuen Herausforderungen einzustellen, braucht es in der nahen Zukunft Strukturanpassungen, welche in kurzen Intervallen realisiert werden müssen. Dabei muss den Schuleinheiten mehr Verantwortung übertragen werden. Damit ist die Governance zwischen Bildungsverwaltung, Bildungspolitik und Lehrpersonenbildung neu zu definieren. Eine weitere Herausforderung besteht bei der Gestaltung der Übergänge zwischen den einzelnen Stufen. Hier wäre innerhalb des Kantons eine Harmonisierung anzustreben.
Verändert sich damit auch das Profil der Studierenden?
Mit den Veränderungen im Schulfeld ändern sich auch die Ansprüche an die Studierenden. Bereits in den vergangenen Jahren sind die Anforderungen bezüglich Sozialkompetenz, Flexibilität, Umgang mit Belastungen sowie der ICT-Kompetenz deutlich gestiegen. Diese Dynamik wird in nächster Zeit noch weiter zunehmen, auch wenn die Schule nicht mit den Innovationszyklen der Produkte mithalten muss. Trotzdem werden dadurch rasch wechselnde und kaum steuerbare Ansprüche an die Schule und damit die Lehrpersonen gestellt werden. Künftige Lehrpersonen werden also noch stärker im konstruktiven Umgang mit Veränderungen gefordert sein.
Was wünschen Sie sich für die Pädagogische Hochschule für die nahe Zukunft?
Dass sie noch verstärkt zusammen mit dem Schulfeld und der Bildungspolitik die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam und entschlossen angeht, damit die Schule der Zukunft als wichtige Stütze zum Erhalt der Demokratie und der Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft als öffentliche Institution erhalten bleibt.