Der Titel eines US-Bestsellers lautet: «Instant Relief: Tell Me Where It Hurts and I’ll Tell You What to Do». Die vollmundige Versprechung lautet: «10-second relief for everyday aches and pains.» Für viele ist «Instant relief» zu einem Zauberwort geworden: Ich hab ein Problem, du lieferst mir die Lösung – und zwar sofort. Besonders beliebt ist diese Her-damit-Haltung im medizinischen Bereich: «Instant Relief from Sour Stomach.» Entscheidend ist der Zeitfaktor: «In just 10 seconds!» Nicht lange studieren, analysieren, reflektieren, diagnostizieren. Sondern: handeln, vorwärtsmachen.
Tat-Kraft statt Denk-Kraft?
Auch im pädagogischen Bereich erfreut sich eine Her-damit-Haltung einer gewissen Beliebtheit. Auf die Schule übertragen bedeutet dieser Instant-Relief-Stil: Gute Prüfungsnoten; auswendig lernen. Prüfung bestehen; Stoff abarbeiten. Spezifisch aus einer Schülerperspektive: Nicht verstanden; besser erklären. Blatt verloren; neue Kopie. Aus Elternperspektive: Mittelschul-Kandidat; prüfungsrelevante Förderung. Auch in der Lehrerbildung ist diese Haltung anzutreffen: Klassenführungsprobleme; Erfolgsrezepte her. Keine unnötig weitschweifigen Theorien, ganz konkret pragmatische Ratschläge.
Tat-kräftig statt denk-kräftig?
Nicht zu vermeiden ist, dass die Erfüllung der Sofort-Wünsche aus Empfänger-Sicht nie wirklich befriedigend sein kann: nicht oder nicht genügend erfolgreich, zu kompliziert, zu langwierig, zu allgemein, immer noch zu theoretisch.
Ein auf den ersten Blick anderes Thema: Eine Studentin beginnt im Praktikum eine Französischlektion didaktisch-methodisch lehrbuchmässig mit einem prägnanten Überblick über die Lektion – einem «advance organizer». Sie tut das aber nicht standardmässig in Form von Lernzielen oder Inhaltsangaben, sondern sie präsentiert ein «Menu d’aujourd’hui» mit «entrée», «plat principal», «dessert». «Notre dessert d’aujourd’hui est la chanson ‹Si j’étais Président de la République›.»
Die Schülerinnen und Schüler haben auf diesen für sie ungewohnten Lektionseinstieg überrascht-interessiert reagiert. Mir als Besucher hat diese in einem krassen Gegensatz zu einer Her-mit-dem-Stoff- oder Da-ist-der-Stoff-Mentalität stehende Geste der Einladung ausserordentlich gut gefallen.
In einem Gespräch zur Erneuerung der Schule hat der Philosoph Peter Sloterdijk gefordert, dass die Schule stark auftreÂten und saÂgen müsse: Wir bieten ChanÂen, hier ist unser Wissen, hier ist unsere Lebenskunst – zu all dem laden wir ein. Nach seiner Ansicht sind Gesten der Einladung zentral. Dadurch können Schulen Gästehäuser des Wissens und AusflugsÂziele für die Intelligenz werden.
Mir gefallen diese ungewohnten pointierten Forderungen eines Nicht-Pädagogen sehr. In schulischen Gästehäusern und Ausflugszielen der Intelligenz werden Lektionen auch durch Gesten der Einladung wie «Le menu d’aujourd’hui est …» eröffnet. Weniger durch die schwer erträgliche Lektionseinstiegsphrase «Nehmt die Hausaufgaben hervor». Statt Kontroll-Blicken und Droh-Gebärden Gesten der Einladung und Anregungen zum Denken!