Nach einer jahrzehntelangen Tätigkeit als Lehrerin und Heilpädagogin steht Wilma Bucher nun kurz vor der Pensionierung.  In einer Weiterbildung der PH Zürich hat sie sich mit der Zeit danach auseinandergesetzt.
Mit der Pensionierung steht ein Übergang in eine ganz spezielle neue Lebensphase an. Der Ausstieg aus dem Berufsleben wird von allen Menschen persönlich sehr unterschiedlich wahrgenommen. Dabei spielen Faktoren wie die familiäre Situation, finanzielle Ressourcen, das soziale Umfeld sowie berufliche und ausserberufliche Perspektiven eine ganz zentrale Rolle. Die Vorbereitung auf die Pensionierung und die Jahre danach brauchen Zeit und Raum. In einem von der PH Zürich organisierten Seminar hat sich eine Gruppe von Personen aus dem Schulbereich intensiv mit dem Aufbruch in die Pensionierung auseinandergesetzt. Der fokussierte Blick zurück auf die eigene Biografie zeigte unter anderem Ressourcen und Fähigkeiten auf, welche auch in Zukunft unterstützend bei der erfolgreichen Bewältigung herausfordernder Situationen wirken können.
Akzente: Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Pensionierung?
Bucher: Bisher habe ich immer gedacht, es gäbe nichts Spannenderes im Leben, als mit Kindern zu arbeiten. Jetzt merke ich zunehmend, dass es gut ist, langsam loszulassen, um Zeit für die Dinge zu schaffen, auf welche ich mich sehr freue. Das Seminar an der PH Zürich hat mir ermöglicht, mich über einen längeren Zeitraum mit mir persönlich und meinem Berufsausstieg auseinanderzusetzen. In der Gruppe war von Anfang an eine sehr grosse Offenheit spürbar. Der intensive Austausch über verschiedene Aspekte des Berufsausstiegs und vor allem auch das Erstellen eines Alltagsinventars haben mir viel gebracht.
Worauf freuen Sie sich speziell, und gibt es auch Momente, in denen Sie Angst verspüren?
Ich werde viel mehr Freiräume haben. Zukünftig kann ich zum Beispiel auch im Juni Ferien machen. Dieser Monat war bei mir seit Jahrzehnten zum Reisen nicht möglich. Ich freue mich auch darauf, jeden Tag selber gestalten zu dürfen, Freundschaften viel intensiver pflegen zu können, das Kulturelle zu geniessen und viel Zeit für meine Hobbys zu haben. Angst? Ja, die ist manchmal auch da. Könnte Langeweile auftauchen? Ich weiss, dass das auch sein Gutes haben kann, aber wie halte ich das aus? Ich mache mir auch immer wieder Gedanken zur Partnerschaft. Wie werden mein Mann und ich mit der neuen Situation umgehen? Wie können wir zusammen den Alltag sinnvoll und für beide stimmig gestalten? Viele Fragen, die erst dann zu beantworten sind, wenn es so weit ist.
Wie wird sich Ihr Beziehungsnetz verändern?
Das ist eine interessante Frage. Seit etwa einem Jahr ist die Pensionierung ein grosses Thema in unserem Freundeskreis. Wir wollen voneinander hören, wie der Ausstieg aus dem Berufsleben geplant und gestaltet wird. Dieser Austausch ist mir zunehmend wichtig und wertvoll und bringt eine neue Tiefe in unsere Bezie- hungen. Die Kinder sind erwachsen und verlassen das Elternhaus, die eigenen Eltern sind alt und werden irgendwann sterben. Dieses Wissen löst bei uns und unseren Freunden ganz unterschiedliche Gefühle aus.
Wie möchten Sie Ihren Abschied von der Schule gestalten? Übergänge und Rituale sind für mich etwas sehr Wichtiges. Es ist jetzt aber noch zu früh, den Ausstieg konkret zu planen. Ich denke, dass ich mit meinem ganzen Schulhausteam, in welchem ich als Schulische Heilpädagogin am meisten tätig bin, in irgendeiner Form Abschied feiern möchte. Es ist mir ein Anliegen, am Schluss meiner beruflichen Tätigkeit einen Dank an all meine Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit aussprechen zu dürfen.
Sie haben gesagt, dass Sie mehr Zeit für sich, die Familie und die Freunde haben möchten. Heisst das, Sie werden nach Erreichen des Pensionsalters nicht weiterarbeiten?
Ja! Diese Entscheidung ist gefallen. Mein Mann und ich haben vor, unser Leben zwischen dem Kanton Graubünden und der Stadt Zürich zu gestalten. Die nach dem Berufsausstieg neu geschenkte Zeit möchte ich unter anderem nutzen, Freunde spontan einladen zu können. Im Moment wird es mir am Wochenende nämlich rasch einmal zu viel, all meine Beziehungen zu pflegen. Ich könnte mir jedoch vorstellen, nach meiner Pensionierung eine freiwillige Tätigkeit anzunehmen. Gleichzeitig weiss ich aber, dass ich nicht in eine neue Verpflichtung rutschen will. Die Zeit nach meinem Berufsausstieg will ich wirklich geniessen. Ich möchte frei sein, um spontan meine Bedürfnisse ausleben zu können. Wie wichtig das ist, habe ich als eine der Erkenntnisse aus dem Seminar mitgenommen.