Gut beraten?

Laut der Herausgeberin möchte der vorliegende Sammelband «fallbasiertes Lernen für Weiterbildungsberatung als Handlungsfeld der Erwachsenenbildung ermöglichen», indem authentische Fälle aus der Praxis dargestellt und reflektiert werden. Die Texte verteilen sich auf drei Kapitel (biografische Zugänge, Analyse von Beratungsgesprächen und Umsetzungskonzepte). Der Bedarf an Bildungs- und Lernberatung wird in aller Breite deutlich nachgewiesen (interessant für den Hochschulkontext der Beitrag zur Situation der «first-generation students»). Leider fehlen weitgehend konsistente Begründungen von Qualitätskriterien (Contracting, Dreiecksvertrag, Evaluation) von Beratung im Zwischenfeld von Autonomie, Vermittlungsbedürfnis und Systembedarf – löbliche Ausnahme ist hier der Text von Lacher und Dombrowski, in welchem Vorgehensweise und Philosophie eines privaten Weiterbildungsträgers in Beratung beschrieben sind. Der minutiös beschriebene Prozess der steigenden Abhängigkeit innerhalb einer Mentoring-Beziehung beispielsweise hinterlässt trotz der folgenden kurzen Analyse Ratlosigkeit und Zweifel. Der letzte Text beschäftigt sich mit Entwicklung von Lehr- und Beratungskompetenz – geschildert wird seltsamerweise ein Konzept zur Entwicklung von Lehrkompetenz im Rahmen der Qualifizierung von Lehrkräften. Grundsätzlich wird mindestens implizit deutlich, dass Beratung im Bildungskontext von Ambivalenz und Paradoxien gekennzeichnet ist, Beratung bleibt da nicht einfach freiwillige Inanspruchnahme von Unterstützung, Beratung kann systemadaptiv gedacht sein, ruft aber andrerseits auch wieder aufklärerische Tendenzen bei kritischen Systemvertretern ab und möchte (und kann) gleichzeitig bei «Klienten» in der Tat Identität stärken und Orientierung bieten. Im Zuge des Lifelong Learning ist die Rolle von (Bildungs-)Beratung zu Gunsten erhöhter Chancengleichheit wirklich überdenkenswert. Lernerinnen und Lerner werden hier – gerade auch mit Sicht auf die häufig zitierte Selbststeuerung – zu sehr als bedürftig gezeichnet. Eventuell hätte eine stärker konzeptionelle Herangehensweise an die durchaus interessanten Fallbeispiele für mehr Kohärenz und Prägnanz sorgen können.

Anne Schlüter (Hrsg.). Beratungsfälle – Fallanalysen für die Lern- und Bildungsberatung. Opladen: Verlag Barbara Budrich, 2014. 217 Seiten.