Der Informationswissenschaftler und Philosoph Oliver Bendel wagt einen Blick in die Zukunft der Schule. Der Schulbetrieb könnte im Jahr 2030 futuristisch, im Idealfall aber ähnlich wie heute aussehen.
Akzente: Bringt die Zukunft überhaupt noch Neuheiten im Bereich der digitalen Medien?
Bendel: Auf jeden Fall. Wir werden uns später wundern, dass wir vor klobigen Notebooks sassen und Smartphones benutzten. Diese Geräte sind nur Übergangslösungen, früher oder später werden digitale Medien in natürliche Situationen übergehen. Für die Zukunft gibt es zwei klare Trends: Virtuelle Agenten und Augmented Reality. Wir werden in Welten leben, in denen wir uns mit weiblich oder männlich aussehenden Projektionen im Raum unterhalten und uns über eingeblendete Ebenen permanent mit Zusatzinformationen zur Aussenwelt versorgen.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Schule?
Die Frage ist nicht, wie Schulen künftig technisch ausgestattet sein werden, sondern wie die Schule mit neuen Technologien umgeht. Nehmen wir das Beispiel Datenbrille: Wenn Schüler und Schülerinnen solche tragen, können sie ständig Wissen und Informationen abrufen. Natürlich wird man solche Brillen in Prüfungssituationen verbieten, doch es gibt auch Möglichkeiten, Kontaktlinsen als Displays zu verwenden. Da wird es schwierig, zu kontrollieren, wer normale und wer intelligente Linsen trägt. Wenn die Technologien an oder in unseren Körper wandern, kann dies den Unterricht grundlegend verändern.
Wird die Hauptaufgabe der Schule 2030 also gezwungenermassen in der Vermittlung von Techniken zur effizienten Wissensbeschaffung und Informationsselektion liegen?
Dass die Lehrperson durch die technologischen Entwicklungen zum Companion wird, der nur noch zeigt, wie man möglichst schnell an Informationen kommt und sich Wissen einverleibt, ist durchaus ein mögliches, aber nicht unbedingt ein wünschenswertes Szenario für die Zukunft. Es ist falsch zu glauben, dass es kein Wissen mehr über die Dinge der Welt braucht, weil man alles ad hoc nachschlagen kann. Gerade für die Beurteilung und Einschätzung von Daten ist eine breite Allgemeinbildung sehr wichtig. Und dafür braucht es nach wie vor kompetente, charismatische Lehrpersonen und traditionelle Vermittlungs- und Unterrichtsformen.
Was genau meinen Sie damit?
Lesen, lesen, lesen. Kinder müssen wie früher erst lange lineare Texte lesen, verstehen und selbst schreiben können, bevor sie mit kompakten Informationen und vorstrukturierten Hypertexten konfrontiert werden. Gesellschaft und Wirtschaft verlangen nach schnellen Lösungen. Digitale Medien sind das ideale Mittel, um effizient zu arbeiten. Bereits Primarschüler haben das verinnerlicht.
Wie kann ein sinnvoller Umgang mit Medien vermittelt werden?
Eine grosse Verantwortung liegt bei den Eltern. Sie entscheiden, mit welchen Technologien sie ihre Kinder «ausstatten», und können deren Medienverhalten stark beeinflussen. Zudem muss die Schule die Medienbildung stärken und eine kritische Haltung gegenüber schnellen Informationstechnologien fördern.
Wie können Lehrerinnen und Lehrer in der Zukunft neue Technologien im Unterricht optimal einsetzen?
In Praxisprojekten können digitale Medien ideal genutzt werden. Man kann etwa gemeinsam E-Books produzieren oder mit speziellen Programmen seltene Pflanzen identifizieren. Auch können über digitale Medien Grenzen überschritten und virtuelle Partnerschaften zwischen Schulen gegründet werden, etwa um Sprachen über Skype zu lernen. Auch soziale Medien bieten viel Platz für produktive Prozesse. Es gibt zahlreiche Lösungen für eine interne, gut geschützte Infrastruktur.
Welche Haltung soll die Schule technologischen Neuheiten gegenüber einnehmen?
Informationstechnologien machen erst einmal Spass, daher können sie auch zu einem guten, glücklichen Leben, wie es die alten Philosophen lehrten, gehören. Die Schule darf aber nicht von neuen Technologien gesteuert und bestimmt werden, sondern muss diese weiterhin gezielt als Tools einsetzen.